Dienstag, 28. September 2010

Mein langer Weg zum ethisch korrekten Menschen, Teil 1


Ach, irgendwie sozial eingestellt war ich schon immer. Hilf den Schwachen! Dulde keine rassistischen Sprüche (und seien sie noch so unbewusst) in Deiner Umgebung! Füge keinem Lebewesen Schmerz zu! – An das alles habe ich mich schon immer mehr oder (in schwachen Momenten) minder gehalten. Aber: Der eigentliche Beginn meines neuen Weges begann mit einem Referat, das meine Tochter in der Schule halten sollte. Thema: Schokolade. Fein, dachten wir, da kann man leckere Bildchen verwenden, die Geschichte der Schokolade erzählen, bei den Azteken verweilen und eine gute Note einheimsen. Bei den Recherchen stießen wir schnell auf entsetzliche Fakten: Kinderausbeutung, giftige Dämpfe bei Kakaoanbau, unsägliche Verhältnisse – das alles, damit in westlichen Ländern billige Schokolade die verwöhnten Gaumen erfreut! Das Referat fiel anders aus als vermutet (eine gute Note und ein Schulplakat gab es dennoch), aber ich war nun endgültig infiziert von den immer lauter werdenden Fragen: WAS nasche ich eigentlich? WELCHE Kleidung trage ich? Welche MENSCHEN produzieren all diese Dinge, die mich umgeben?
Einer, der sich – zumindest in Sachen Nahrung – die gleichen Fragen gestellt hat, ist Jonathan Safran Foer. In „Tiere essen“ begibt er sich mal mehr oder weniger akribisch auf die Spur dessen, was letztendlich auf Grills, Tellern und in menschlichen Mägen landet. Die Fakten sind entsetzlich. Tiere werden aufs Grausamste gequält, misshandelt und brutalst getötet. Pro gelesenem Kapitel habe ich auf einen Teil meiner bisherigen Nahrung verzichtet. Wer einmal gelesen hat, WIE Tunfisch gefangen und gemeuchelt wird, isst keinen mehr. Ganz simpel. Mir jedenfalls geht es so. Schwein – passé. Huhn und Pute erst recht. Die Liste ließe sich fortsetzen. Das Problem ist nämlich, dass man, lebt man in einer Großstadt, überhaupt nicht mehr in der Lage ist zu entscheiden, welches Fleischprodukt denn nun tatsächlich korrekt die Kette bis zum Verbraucher durchlaufen hat. Biofleisch? Heißt das nicht eigentlich nur, dass die armen Viehcher Biofutter erhalten haben? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es korrekt zugeht bei all dem massenhaft in Supermärkten erhältlichen Biokram! Gesundes Misstrauen ist wohl aller Vegetarier Anfang.
Mein Weg führt mich weiter. Ich versuche, in den nächsten Wochen in meiner unmittelbaren Umgebung (also in und um Halle/Saale) ehrliche Erzeuger aller möglichen Lebensmittel aufzuspüren. Ob ich allerdings mittlerweile noch ein „fair“ (soweit das überhaupt möglich ist) geschlachtetes Tier essen kann, ist fraglich ...

10 Kommentare:

  1. Dein Konsum ändert die Produktion nicht. Also kannst du es bedauern, aber dein Gewissen solltest du damit verschonen.

    Generell fänd ich so eine Liste für Halle auch spannend. Aber der Aufwand, die aktuell zu halten …

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  2. Aber ich habe nun mal ein Gewissen! Und das sucht sich manchmal seine ganz eigenen, irrationalen Wege.
    Die Idee der Liste für Halle ist ja noch ausbaubar ...

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  3. Das Gewissen ist ein Ergebnis moralischer Leitlinien, mal vorsichtig ausgedrückt. Moral bezieht sich immer auf individuelle Entscheidungen. Du kannst nicht entscheiden oder beeinflussen, wie und ob Thunfisch gefangen wird, wenn du nicht gerade zu radikalen Mitteln greifst. Genauso gut könntest du ein schlechtes Gewissen ob des miesen Wetters haben.

    Zur Liste: Ich könnte mir vorstellen, mal die ganzen Prädikate und Abzeichen aufzuschlüsseln und klar zu erklären. Dann macht man eine Google-Karte mit den Läden in denen diese oder jene Art verkauft wird.

    Brächte das etwas? Schwer zu sagen. In Deutschland werden mehr Bioeier verkauft als alle anerkannten »Biohennen« überhaupt legen können. Wo der Überschuß herkommt, bleibt im Dunkeln. Abzeichen ändern das nicht.

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  4. Das Argument „mein persönliches Verhalten hat keine Wirkung auf die Produktion“ ist nicht nur ein Zeichen radikaler Gesellschaftszufriedenheit und Unmündigkeit, sondern auch das Lieblingsargument der Konsumenten moralisch fragwürdiger Produkte: Eier aus Käfighaltung, aber auch Atomenergie oder Shellbenzin. Noch viel lieber ist dieses Argument von den Konsumenten moralisch verwerflicher Erzeugnisse genutzt, bei welcher Entstehung Menschen zerstört werden.
    Nein, eine Stimme in der Wahlurne ist nicht nur ein Spiel mit dem Gewissen und den eigenen Überzeugungen, sondern auch eine wirkungsvolle Tat. Ein bewusstes Konsumverhalten ist auch eine wirkungsvolle Tat. Und was sind schon Überzeugungen ohne Taten?
    Danke für die Überschrift! Denn wie Du gut sagst, Du triffst auf ein Wissen (natürlich ist alles Wissen partiell) was Deine Handlungen verändert (und somit zwingend die Gesellschaft), und was am Ende auch Deine Persönlichkeit weiter entwickelt und aufbaut.

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  5. @lingoas: Nicht so schnell mit deinen Rückschlüssen auf andere bitte. Wie man handelt und was man dabei fühlt, sind zwei sehr unterschiedliche Dinge.

    Selbstverständlich finde ich es besser, informierte Entscheidungen zu treffen. Da wir aber nie vollständige Informationen haben können, sind objektiv »richtige« Entscheidungen gar nicht möglich und ein schlechtes Gewissen nicht gerechtfertigt.

    Ein gutes Beispiel hierfür war das Verbot von DDT: Als man gemerkt hat, welche schlimmen Folgen das nach sich zog, wurde es großflächig verboten. Eine scheinbar »moralisch korrekte« Entscheidung.
    Leider sind die Ersatzmittel meistens noch schlimmer, und wo sie nicht bezahlbar sind, vernichten Schädlinge ganze Ernten. Das Verbot hat mehr, viel mehr Menschen den Tod gebracht als die Zulassung.

    Solche Entscheidungen sollte man besser sehr nüchtern betrachten, anhand einer klaren Kosten-Nutzen-Rechnung, statt sie »moralisch« zu belasten, finde ich.

    Auch die Bevorzugung lokaler Biobauern und die EU-Binnensubventionen für sie haben schädliche Folgen: Sie drücken durch die hiermit erzeugte Überproduktion die Preise auf dem Weltmarkt so sehr, daß in Ländern mit einer niedrigeren Produktivität einfach nichts mehr angebaut wird. Mit Moral kommt man hier nicht sichtbar weiter.

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  6. @Thomas
    Aber was ist denn Deiner Meinung nach die Alternative? Ich bin durchaus der Meinung, dass durch einen bewussteren Konsum vieler Menschen etwas am Ungleichgewicht in der Welt geändert werden könnte. Wenn weniger Menschen "unmoralisch" erzeugte Produkte kaufen, muss deren Produktion auch verringert werden und somit schmilzt doch auch die Überproduktion, oder? Nenn mich naiv, aber ich glaube einfach daran, dass eine Änderung der derzeitigen Verhältnisse möglich sein kann.
    Hinzu kommt, dass ich durch mein eigenes Verhalten nicht auch dazu beitragen möchte, dass Menschen unsozial und Tiere grausam behandelt werden. Ich WILL einfach nicht Teil dieser miesen Kette sein! Da ich als einfacher Mensch kaum andere Möglichkeiten der Einflussnahme habe, kann ich nur beschließen, aus diesem Karussell auszusteigen. Und das ist für mich eine "moralisch korrekte" Entscheidung. Nicht mehr und nicht weniger.
    Lauter kleine fast unsichtbare moralische Entscheidungen machen irgendwann eine große sichtbare moralische Veränderung, meinst Du nicht?

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  7. Ich möchte dir ja nicht deine Konsumentscheidung madig reden. Ich wehre mich nur gegen einen verwässerten Begriff von Ethik.
    Wenn jede Entscheidung, bei der ich ein gutes oder schlechtes Gefühl habe, gleich eine »moralische« ist, dann gibt es fast keine amoralischen Entscheidungen mehr, und das halte ich für einen großen Verlust.

    Du könntest du durch sehr drastische und öffentliche Aktionen weit mehr Einfluß auf die Nahrungsproduktion nehmen als durch dein Konsumverhalten oder einen Blogbeitrag.
    Das wäre dann vielleicht eine moralische Entscheidung, weil sie deinen Handlungsspielraum und den deiner Angehörigen spürbar ändert. Du müßtest dich dafür verantworten.

    Ob du Thunfisch oder billige T-Shirts kaufst oder nicht – das ändert nichts. Fühl dich dabei wohler, wenn du möchtest, aber glaube nicht, du hättest dich oder die Welt verbessert. :)

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  8. Oh, was "amoralische Entscheidungen" betrifft - die fälle ich doch auch zuhauf. Ganz einfach, weil ich die Sache aus einer anderen Blickrichtung sehe. Natürlich sind wir da an einem Punkt, an dem Begriffe wie moralisch/amoralisch nicht wirklich weiterhelfen. Ich gebe Dir also in dieser Hinsicht recht. Moral ist Ansichtssache und somit in der Bedeutung durchaus dehnbar/variabel.
    Ethik hingegen m. E. nicht. Hier gibt es kulturell und gesellschaftlich durch die Geschichte herausgefilterte Parameter, die der Orientierung dienen.
    Und: Wenn es mir gelingt, die Menschen in meiner Umgebung durch Gespräche und durch meine Haltung zumindest für ein Thema zu sensibilisieren, mache ich die Welt doch ein Ministückchen besser ...!

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  9. Es sind hier mehrere Themen, die ich für wichtiger halte als persönliche Ratschläge.

    Zu einem scheint der Beginn dieser Geschichte nicht genügend bewertet: jemand (die Autorin) wird zum HANDELN bewegt aufgrund drei essentielle Faktoren. Diese sind: Eine Buchlektüre, ein Referat in einer Schule, und, davon gehe ich aus, eine Kommunikation zwischen Mutter und Kind. Drei Situationen also des Erwachsen- und Mündigwerdens (ergo Wege in die Freiheit) durch Kultur, Bildung und Liebe. Drei bessere Pfeiler kann die Erziehung des Menschen nicht haben.

    Zum zweiten: Insbesondere, aber nicht nur, in der Erziehung bedeuten sowohl das Musterverhalten und der eindeutige Zusammenhang von Vorstellung und Umsetzung der Kern des Erfolgs. Wer andere Werte vertritt, als er/sie lebt, wird nicht auf lange Sicht überzeugend sein können.

    Und drittens: Wo kommt die Motivation vom/zum moralischen Handel her?

    Ein wahrer freier Mensch sollte keine Hemmung haben, für die eigenen Überzeugungen allein da zu stehen. Nicht nur hat die Geschichte gezeigt, dass einzelne Menschen vieles in Bewegung setzen können. Sondern auch dass jede Revolution in ihrem Ursprung aus einer einzigen Idee einer einzigen Person hervorgegangen ist. Aber auch die Menschen, die die große Welt nicht verändert haben oder verändern werden, mögen viele Vorteile erleben, wenn sie den Sinn der eigenen Handlungen erkennen, und sich für diese einsetzen, auch wenn diese Zeit oder Ansehen kosten, unangenehm oder teuer sind, oder sie andere Nachteile bringen: die Vorteile der Freiheit. Und mein persönliches Glück mache ich nicht an den großen Zusammenhängen der Welt fest, aber schon an dem Gefühl der Freiheit. Die Freiheit selbst zu bestimmen, und das Gefühl, die eigenen Entscheidungen frei getroffen zu haben.

    Wer die eigenen Entscheidungen stets dem Gruppenzwang oder der Obrigkeit unterordnet – und darum geht es, wenn ich mich als Einzelnmensch unbedeutend oder ohnmächtig fühle – kann bestenfalls eine fiktive Freiheit leben, denn zum Handeln ist er/sie eindeutig nicht frei. Und die bewussten Handlungen verändern sehr wohl meine Welt, die Welt überhaupt. Dazu ist jede Person aufgerufen, die sich frei nennen will. Zu anderen Aktionen innerhalb der Gesellschaft oder für die Öffentlichkeit ist gewiss nicht jeder Mensch aufgerufen oder bestimmt.

    Die menschliche Geschichte hat auch gezeigt – und die Historie ist die einzige brauchbare Wissensquelle des Menschen – dass wer unter dem Vorwand nicht handelt, dass er/sie den Zweck nicht erreichen kann – und somit den angeblich eigenen Überzeugungen untreu wird–, meistens auch bereit ist, diese angeblich eigenen Überzeugungen über Bord zu werfen, um den Zweck zu erreichen, wenn er erreichbar erscheint.

    Wer sich selbst durch die eigenen Überzeugungen verändert hat, hat schon den größten Sieg erreicht, den wichtigsten. Es gibt doch nichts Wichtigeres als Eine Person.

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  10. @Thomas: Wenn nicht der Konsum die Produktion verändert, was dann? Langfristig gesehen verändert veränderter Konsum natürlich was. Der eigene Konsum ist das einzige, was man in der Hand hat und das sollte man auch nutzen.

    Viele Grüße

    Miriam

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